Anstelle
einer Predigt: Mein Geistliches Testament
- Liebe
Festgemeinde!
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Sie
haben sich nicht verhört, und es ist auch kein makabrer
Scherz von mir: dieser gemeinsame Gottesdienst ist eine Feier,
ein Fest. Denn jetzt, da dieser Brief verlesen wird, bin ich an
meinem Ziel angekommen: bei Gott, meiner Erfüllung und
meinem ewigen Glück. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!
Die weiße Farbe der Meßgewänder, die frohen
Lieder und Texte, und das fröhliche anschließende
Beisammensein sollen das zum Ausdruck bringen.
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In
den Tagen seit meiner sicheren Diagnose hatte ich viele
Gespräche, telefonisch und von Angesicht. Die meisten
waren verwundert oder verunsichert über meine
Gelassenheit, ja über meinen Humor - trotz des sicheren
"Todesurteils". Daher möchte ich Ihnen sagen,
was der Grund für diese Haltung war.
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Jahrelang
habe ich im Unterricht, in Vorträgen oder Bibelstunden
begeistert von der Frohen Botschaft gesprochen. Ich habe meiner
sicheren Zuversicht Ausdruck gegeben, daß unser Gott die
absolute, unverlierbare, bedingungslose und stets verzeihende
Liebe ist, die uns Menschen niemals schaden wird, sondern im
Gegenteil heilen und glücklich machen möchte, und der
man nur völlig und uneingeschränkt vertrauen kann.
Wer mich kennt, weiß, daß das keine leeren Worte
waren, sondern aus innerster Überzeugung kam.
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Und
trotzdem waren das nur "Trockenübungen". Denn
ich hatte keine Ahnung, ob ich diese Überzeugung, dieses
Gottvertrauen auch durchhalten könnte, wenn es mich einmal
selbst trifft - und zwar endgültig. Heute kann ich Ihnen
sagen: es hat durchgehalten und mich getragen, und nicht nur
mich: auch meine unmittelbare Umgebung, die Freunde um mich.
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Es
tut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen: kein einziger
Lehrsatz, kein einziges Dogma, keine einzige Moralvorschrift
oder kein einziges Lehrschreiben konnte mir diesen Halt und
diese freudige Gelassenheit vermitteln. Es war einzig und
allein die Frohe Botschaft Jesu, die Botschaft von der
unendlichen Liebe Gottes!
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Und
noch etwas habe ich in den letzten Tagen meines Lebens klar
erkannt: diese Botschaft, die wirklich leben läßt -
selbst im Angesicht des Todes - wurde jahrhundertelang in ihr
Gegenteil verzerrt. Die Angst vor Gott und vor der Hölle
war das Ziel von Predigten, Schuldgefühle wurden erzeugt
und das Gewissen manipuliert, die Freiheit der Menschen wurde
geknebelt - und das alles im Namen des liebenden Gottes!
Wieviele Menschen haben dadurch ein verkrüppeltes Leben
geführt, wie viele sind mit angsterfüllten Augen
gestorben! Und das alles unter dem großartigen Titel:
Frohbotschaft!
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Ich
will mich jetzt wirklich nicht über die Gründe für
solch gotteslästerliche Lehren auslassen. Aber Ängste,
Verdrängungen, unbewußte oder bewußte
Machtgier der Verkündiger haben da sicher eine
entscheidende Rolle gespielt.
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Nein,
das soll jetzt kein Thema sein, obwohl ich oft genug Wut und
Zorn darüber empfunden habe. Ich möchte Ihnen
vielmehr die Summe meiner Lebenserkenntnis sagen - in der
Hoffnung, daß auch Ihr Leben so glücklich werden
kann, wie es meines war, und in der Hoffnung, daß auch
Sie einmal Ihrem Tod so vertrauensvoll entgegensehen können,
wie ich es geschenkt bekam.
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Die
allerwichtigste Erkenntnis habe ich bereits erwähnt. Es
ist die Botschaft, daß Gott kein rachsüchtiger,
kleinlicher Tyrann ist - so wie wir es oft selbst sind -
sondern die reine, pure Liebe. Und zwar eine Liebe, die
keinerlei Bedingungen kennt, die man niemals verlieren kann
(wenn man sich nicht selbst dagegen sperrt), und die unendlich
groß ist. Das Gleichnis vom Guten Vater - über das
ich immer wieder meditiert habe - bestätigt dieses
Gottesbild nur.
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Wichtig
ist aber, daß diese Gottesvorstellung nicht immer wieder
von menschlichen Vorstellungen verfälscht wird. Denn in
uns allen steckt gleichsam eine natürliche Furcht von
einem unheimlichen, gefährlichen Wesen, das man mit
Geschenken (also Opfern) oder schönem Reden (also
ellenlangen Gebeten) beschwichtigen muß. Aber Jesus hat
ein für alle Mal klargestellt: das sind rein menschliche
Vorstellungen. Und die haben mit dem wirklichen, wahren Gott
nicht das geringste zu tun!
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Dazu
kommt, daß wir all unsere kleinlichen Rachegedanken (wir
nennen es "Gerechtigkeit") auf diesen Gott
projizieren. Daher können wir es einfach nicht fassen, daß
dieser Gott eine ganz andere Art von Gerechtigkeit übt.
Würden wir endlich einmal die Vorstellung vom liebenden
Gott konsequent weiterdenken, kämen wir von selbst drauf:
Liebe rächt sich nie! Liebe beschränkt niemals die
Freiheit! Liebe zwingt nie! Liebe gebraucht nie Gewalt! Seine
"Gerechtigkeit" ist ein Rechtmachen, ein
In-Ordnung-bringen. Seine "Strafe" ist eine Straffung
dessen, was egoistisch verkrümmt ist. Und seine
"Vergeltung" ist ein Geltenlassen dessen, was wir in
Freiheit tun.
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Natürlich
müssen wir da mitmachen - wie gesagt, Liebe kann nicht
zwingen. Und genau da beginnt meine zweite Erkenntnis, die mir
vor allem die Tage vor meinem Tod so geholfen hat. Und die
lautet:
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Wenn
Gott, wie Jesus sagt, die pure Liebe ist, dann will und wird er
uns nie etwas Böses. Dann wird immer zum Heil und Glück
führen, was immer er an uns tut. Nur: seine Liebe setzt
sich in unserer Freiheit ihre Grenze. Wollen wir nicht
mitmachen, kann uns Gott auch nicht in Ordnung bringen, heil
machen. Ein Vergleich: wie kann ein Zahnarzt meine kariösen
Zähne sanieren, wenn ich das Maul nicht aufmache? Und
darum habe ich schon viele Jahre versucht, die einzig passende
Antwort auf seine Liebe einzuüben: ihm immer mehr zu
vertrauen und ihn nur machen zu lassen, in der Gewißheit,
daß es zu meinem Besten ist, auch wenn ich es ganz anders
haben möchte oder noch nicht einsehen kann. Das war oft
gar nicht einfach, und in schweren Fällen habe ich viele
Monate gebraucht, Ja zu sagen und seinen Willen restlos
anzunehmen. Und wenn ich geglaubt habe: "Jetzt kann ich
es!", dann hat mich Gott in eine neue Situation gestellt,
in der ich erkannt habe, wie wenig weit mein Gottvertrauen
gediehen war.
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Ich
bin am Ende meines Lebens zur Überzeugung gekommen, daß
der Hauptsinn meines - und wahrscheinlich auch Ihres - Lebens
darin besteht, dieses Vertrauen immer stärker einzuüben.
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Nebenbei:
Ist es nicht interessant, daß "Glaube" im
Sprachgebrauch der Kirche meist "Fürwahrhalten von
Lehrsätzen" bedeutet, in der Sprache Jesu dagegen
immer "Vertrauen"? Paßt sehr gut zur Kritik von
vorhin. Immer wieder ermuntert uns Jesus, diesem liebenden Gott
Vertrauen entgegenzubringen: "Vertraut auf Gott - vertraut
auf mich" - "Wenn ihr nur Vertrauen so groß wie
ein Sandkorn hättet, ihr könntet Berge versetzen"
- "Habt ihr denn so wenig Vertrauen?"
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Es
ist aber nicht so, als würde Gott verlangen, einfach in
den Nebel hinein zu vertrauen. Fast immer hat er mich - aber
immer erst nach einem solchen Test - einen Sinn erkennen
lassen, der mir während der "Katastrophe" völlig
verborgen geblieben ist. Wenn man das immer und immer wieder
erlebt, muß man schon ein ganz mieses Gedächtnis
haben, wenn man nicht allmählich ein großes,
tragendes Sinngefüge im Leben erkennen kann.
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Dieses
Vertrauen habe ich lebenslang einüben können, und
habe es auch getan. Es wäre wirklich zu spät gewesen,
hätte ich erst im Moment der Todesdiagnose zu üben
begonnen. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: übt
man dieses Vertrauen immer wieder in kleinen
"Schicksalsschlägen", dann trägt es auch
beim letzten "Schicksal", dem Tod!
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Ich
bin Gott unendlich dankbar, daß er mir das Geschenk
dieses Vertrauens gemacht hat und mir ermöglicht hat,
damit auch andere anzustecken. Mein Anteil war ja nur, mich ihm
immer wieder zu öffnen - denn im Grunde ist alles seine
Gnade: das Leben selbst, die Erkenntnisse, die man gewinnt -
und vor allem dieses Gottvertrauen, das auch in schwersten
Stunden in wunderbarer Weise trägt und hält.
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Daher
gilt mein Dank auch ihm allein, wenn ich jetzt zusammenfasse,
durch wen er mir Zeit meines Lebens Liebe und Vertrauen
vermittelt hat:
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durch meine Eltern und Geschwister,
- durch manche meiner
Lehrer und Schüler, - durch einige meiner Mitbrüder, -
durch viele meiner Freunde, ganz besonders durch ganz bestimmte
Engel, auf die ich mich immer bombenfest verlassen konnte und
die mich in den letzten Tagen und Wochen meines Lebens so
liebevoll gepflegt haben. -
Vielleicht
verstehen Sie nun, warum ich diesen Gottesdienst als
Freudenfest betrachte: ich habe es nun geschafft, ich bin am
Ziel, geborgen in der unendlichen Liebe, der mich nichts und
niemand mehr entreißen kann. Dafür hat es sich
gelohnt zu leben, und dafür hat es sich gelohnt, oft hart
zu lernen.
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Mein
Wunsch für Sie alle:
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daß auch Sie erfahren, daß dieses Gottvertrauen
auch in schwersten Zeiten trägt und hält,
- daß
Sie sich nicht vergiften lassen von einer falschen Gotteslehre,
und käme sie aus höchsten kirchlichen Kreisen, -
daß Sie ihre gottgeschenkte Freiheit bewahren und sich
von keiner totalitären Hierarchie, von keinem noch so
"wohlmeinenden" Freund oder Verwandten vom als
richtig erkannten Weg abbringen lassen, - daß Sie
stets einzig und allein Ihrem eigenen Gewissen und Ihrem
eigenen Verantwortungsgefühl verpflichtet fühlen -
und beides niemals durch einen anderen Menschen, auch durch
keine "Autorität" ersetzen lassen, -
und
schließlich:
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daß Sie die Liebe und Vergebung, die Sie täglich von
Gott empfangen, als "Engel" an andere weitergeben.
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Denken
Sie daran: ich kann Ihnen nun näher sein als jemals im
Leben - und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann wir uns
wiedersehen. Ich freu mich drauf!
-
AMEN
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